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Trekking La Gomera

Das pfiffige Palmenparadies

 

 

canadian

 

 

Langsam und ächzend schleppt sich der Bus den Berg hinauf. Serpentinenstraßen und Obstplantagen umgeben uns, so weit das Auge reicht. Trotz EU-Finanzspritzen gleichen die Bergstraßen Schlaglochpisten. Dem Asphalt ist das egal. Rissig wie ein Greis glüht er in den Tag, erträgt gelassen die Touristen, die auf die Insel kommen. Christobal, unser Trekking-Guide, fragt das letzte Mal nach unserer Ausrüstung. „Habt Ihr an alles gedacht? Feste Schuhe, Trinkwasser, Pullover, Regenzeug? In den Bergen kann es empfindlich kühl werden.“ Kaum vorstellbar, denn es ist satte 25°C warm, und die Sonne scheint von einem knatschblauen Himmel herunter. Christobal hat in den letzten Jahren gut zu tun. Denn La Gomera ist zu dem Geheimtipp für Trekking-Touristen geworden. Und nur wenige gehen auf eigene Faust los. Das macht auch Sinn, denn Christobal erzählt, dass die meisten Wanderwege noch von den Guanchen, den Ureinwohnern Gomeras, stammen. Dementsprechend ist auch ihr Zustand – nämlich steinalt. Außerdem sind viele Pfade auf den ersten Blick nicht erkennbar. Bis auf einige markante Schilder muss man sich nach einzelnen Häusern oder der letzten Palme der Hauptstraße richten. „Viele unterschätzen auch Ihre Kondition“ erzählt er uns. „Die denken dann, sie sind fit, doch mit einem Mal stellen sie fest, dass sie keineswegs schwindelfrei sind. Dabei besteht Gomera fast nur aus Berglandschaften. Da musst Du die Leute schon genau über die Wanderungen informieren und notfalls auch wieder runterholen können.“

 

Vom LSD-Trip zum Wandertipp

 

Kaum zu glauben, dass inzwischen sportive Wanderfreaks die Insel erstürmen, denn vor nicht allzu langer Zeit stürmten ganz andere Freaks auf den schrullig grünen Atlantik-Zwerg. Ende der 60er trafen sich hier die Hippies der Berliner Szene, und selbst der Papa von der Lindenstraße träumte von einem Leben auf der „Isla Magica“. Als Wollmützenstricker natürlich. Von irgendwas muss man ja schließlich leben. Die Mühl-Kommune rief ihren eigenen Mini-Staat im Süden aus, und einige Bhagwan-Jünger machten es ihnen nach. Es musste doch was dran sein an diesem unentdeckten Paradies, wo es anscheinend keine Gesetze gab, kein Telefon und nicht mal Strom. Ein Gesetz gab es natürlich schon. Das höchste aller Hippie-Gesetze: Freie Liebe für alle. Zu befolgen: Täglich. Für die armen Gomeros ein absoluter Kulturschock. Da hausten diese langmähnigen Menschen am Playa de Arenal in Steinhöhlen, frönten dem Nacktbaden und betrieben wilde Sexorgien. Und damit nicht genug. Sie bauten sich auch noch seltsame, weiße Tüten, die sie dann sogar rauchten! Kaum verwunderlich, dass der Strand irgendwann den Namen „Schweinebucht“ bekam. Wohl das Einzige, was den tief religiösen Gomeros zu den zottelig, nackten Menschen und der mit ihnen einhergehenden Rattenplage einfiel. Doch die Zeiten des „Sodom und Gomera“ sind vorbei. Heute gibt es nur noch vereinzelt Esoteriksüchtige und Ewig-Hippies auf der Insel. Die Blumenkinder von gestern kommen heute mit Laptop und Anzug auf die Insel. Und diejenigen, die hängen geblieben sind, haben sich auf der Insel zu erfolgreichen Unternehmern gemausert. So wie Capitano Claudio, den ich später noch treffen werde.

 

Ein lebendes Lexikon

 

Vor uns liegt Santiago. Der sonnensicherste Ort im Süden der Insel. Das kleine Fischerdorf gilt als einer der besten Startpunkte für Wanderer. Trotz des Tourismus hat es sich seinen eigenen Charme und dörflichen Charakter bewahrt. Ein ungeschriebenes Gesetz auf Gomera. Sanfter Tourismus wird auf der Insel großgeschrieben. Da machen auch die Unterkünfte keine Ausnahme. Sei es in den kleinen, privaten Appartements oder aber auch im besten Hotel Gomeras, dem liebevoll restaurierten Parador hoch oben über San Sebastian.
Wir bummeln über die Hafenstraße Santiagos, vorbei an schmuckvoll verzierten Holzbalkonen. Katzen räkeln sich in der Sonne, Einheimische treffen sich in den Bars, spielen Backgammon und Schach. In der „Bar Info“, besser bekannt als „Jürgens Kiosk“, legen wir eine letzte Pause ein. Der Besitzer, Jürgen Niemann, blieb in den 70ern auf der Insel hängen und gilt als wichtigstes Auskunftsbüro des gomerischen Südens. Keine Frage, die er nicht beantworten könnte. Kein Tipp, den er nicht auf Lager hätte. Zwinkernd mixt er uns seinen Spezialdrink: „Rauf auf die Palme“. Reiner Fruchtsaft, versichert er uns. Der Vitamintrunk soll wahre Wunderkräfte verursachen. Na, dann kann es ja losgehen.

 

Feuriger Gigant

 

Vom kleinen Weiler Agalàn aus machen wir uns auf den Weg zu einem sagenumwobenen Gewächs: Dem Drachenbaum. Der Weg führt vorbei an Kanarischen Dattelpalmen und Mandelbaumplantagen vergangener Tage. Steil abwärts geht es durch Kakteenfelder und Wolfmilchgewächs. Ich schramme mir das Knie, doch Christobal ist auf jeden Unfall vorbereitet, hat sofort ein Pflaster parat. Und dann stehen wir vor ihm: El Drago, der Drachenbaum. Der grüne Riese ist der einzige seiner Art auf Gomera. Früher gab es ganze Drachenbaumwälder, doch dann fielen sie dem Kahlschlag zum Opfer, wichen Zuckerrohr und Bananenplantagen, um die Konjunktur der Insel anzukurbeln. Niemand weiß, wie alt der archaische Gigant heute ist. Die Gomeros schrieben ihm locker bis zu 4.000 Jahre auf den Buckel. Vielleicht weil er schon immer heilig für sie war. Früher schmückte sein Bild sogar die kanarischen Peseten. Mag der Euro sein Bildnis auch verdrängt haben, die Natur überlebte das Kapital. Inzwischen wurden weitere Dragos auf Gomera angepflanzt, doch bis sie einmal die stattliche Größe ihres Vaters in Agalàn erreicht haben, mag noch viel Atlantik die Insel umspülen.

 

Es grünt so grün…

 

„Willkommen in Hermigua, wo wir das beste Klima der Welt haben“. So bescheiden grüßt das kleine Dorf im Norden der Insel. Doch die kesse Behauptung stimmt weiß Gott. Wir holen tief Luft, genießen die kühlen Temperaturen und hören den Atlantik gegen die Klippen krachen. Die Wolken hängen längst nicht mehr nur am Himmel, haben es sich im Tal bequem gemacht. Es scheint bizarr, dass rundherum kanarische Bananen, Weintrauben und Gemüse auf den steilen Terrassenebenen wachsen. Als wollten sie der Sonne entgegen gehen, ragen die Felder stufenartig den Berg herauf. Erreichen werden sie den Feuerball wohl nie, und auch die Sonnenstrahlen haben Mühe, die dicken Wolkendecken zu durchdringen. Dass Hermigua trotz des mangelnden Sonnenlichts dank seiner reichhaltigen Ernte zu den wichtigsten Gemeinden der Insel gehört, ist kaum vorstellbar. Doch die sattgrüne Pracht des Tals spricht für sich.
Christobal bereitet uns auf ein unvergessliches Erlebnis vor „Ihr werdet Dinge sehen, die ihr nicht glauben werdet.“ Carola, eine junge Frau aus dem Ruhrgebiet, raunt mir ergriffen zu „Er hat Recht. Das haut Dich echt um!“ Sie muss es wissen, denn sie ist schon das fünfte Mal zum Nationalpark Garajonay unterwegs. Denn genau dahin soll die Reise gehen. Der Aufstieg ist steil. Sehr steil. Wir passieren die felsigen Wächter von Hermigua, die Vulkanschlote des Roque San Pedro, wandern vorbei an Bambushainen über überwachsene, schmale Pfade. Auf Treppenstufen schlängelt sich der Anstieg an einem Felshang empor. Völlig außer Atem gelangen wir in den kleinen Weiler El Cedro. Zeit für eine Einkehr in der Bar La Vista. Denn hier gibt es die beste Juego de Bolas, ein Kresseeintopf, der in Zedernholzschalen serviert wird.
Ein lautes Fluchen durchdringt das stille Treiben. „Mist, das darf doch nicht wahr sein“. Ein junger Biker nestelt an seinem Mountainbike herum. Ich frage ihn, ob ich vielleicht helfen kann, doch er stöhnt nur „Meine Kette ist völlig verrostet. Das muss man sich mal vorstellen. Einfach über Nacht verrostet.“. Das feuchte Klima hat sichtbar seine Spuren hinterlassen. Hier, am Rande des Nationalparks, der Klimascheide der Insel, herrscht eine satte Luftfeuchtigkeit von 100%.

 

„Fabel“haftes Naturerlebnis

Je tiefer wir in den Nationalpark vordringen, desto weniger können wir sehen. Dichte Nebelschwaden sind heraufgezogen, die Sicht beträgt nur noch gut 20 m. Der „feuchte Atem Gottes“ umfängt uns. Der Passatwind, der Wolken und Regen nach Gomera bringt und diese einzigartige Flora nicht verdorren lässt. Farne und Blätter saugen wie Schwämme die Feuchtigkeit auf, tropfen auf die Wege und unsere Köpfe. Unsere Regenjacken sind klitschnass. Um uns herum Lorbeerwälder, moosbewachsene Äste, Flechten und Erika, soweit der Blick noch reicht.
1986 wurde der Nationalpark Garajonay zum „Naturerbe der Menschheit“ erklärt. Nirgendwo sonst wachsen so viele Lorbeerarten, und der „Laurasilva“, der „Nebelwald“, wird auf ein astronomisches Alter von 5 Millionen Jahren geschätzt. Mit seinen bizarren Landschaften bietet er viel Raum für Mystik und haarsträubende Geschichten. Harmlose jedoch, im Vergleich zu Laguna Grande. Tagsüber ein beliebter Grillplatz für gomerische Familien, nachts ein ehrfurchtsvoll gemiedener Ort. Die kreisrunde Lichtung irritierte schon so manchen. Bananen, Gras, Bäume – alles versuchte man hier anzupflanzen und alles zog verschreckt seine Wurzeln ein. Vom Ufo-Landeplatz bis zum Hexentreffpunkt – die Phantasie trieb die unterschiedlichsten Blüten. Laguna Grande blieb trotzdem kahl. Wer die Hexenzeremonien in den Vollmondnächten stört, der soll sich angeblich für immer im Wald verirren. „Blair witch project“ lässt grüssen. Zeit, sich aus dem Staub zu machen.

 

Pfiffiges Inselleben

Von irgendwo her ertönt ein Pfeifen. Lang gezogen und dann im schnellen Stakkato-Rhythmus. Die Pfiffe klingen unmelodisch, die Rhythmen unregelmäßig. Vor uns öffnet sich das „Valle Gran Rey“, das „Tal des Großen Königs“. Wahrhaftig, ein hoheitliches Tal. War Hermigua schon imposant, so fehlen uns hier gänzlich die Worte. Obst- und Gemüseplantagen erstrecken sich bis zur Küste, meterhohe Weihnachtssterne räkeln sich an den Hängen, und die Sonne taucht das Tal in ein glitzerndes Grün. Selbst den Atlantik können wir von hier oben sehen, und in der Ferne schimmert die Küste von La Palma. Kaum zu glauben, dass wir kurz zuvor noch in dicken Nebelschwaden standen.
Wieder hören wir das Pfeifen. Und mit einem Mal sehen wir, woher es kommt, werden Zeugen einer der ältesten Kommunikationsformen der Insel: Dem El Silbo. Unweit von uns entfernt steht ein Ziegenhirte. Zwei Finger steckt er in den Mund, mit der anderen Hand formt er einen Schalltrichter. Und dann geht es los. Er pfeift eine Art Melodie, einen Code, den keiner von uns versteht. Kurz darauf ertönt ein anderer Pfiff. Weit entfernt, und dennoch hörbar. Auf der anderen Seite des Tals erkennen wir einen kleinen Punkt. Als wir genauer hinschauen, sehen wir einen zweiten Hirten, dicht an die Felswand gepresst. Er antwortet! Durch weit verstreute Siedlungen, unüberwindbare Bergrücken und ein kaum vorhandenes Verkehrsnetz waren die Gomeros lange Zeit darauf angewiesen, sich auf andere Art zu verständigen. Ob neuester Klatsch oder wichtige Informationen, die Einheimischen pfiffen es sich zu wie die Spatzen von den Dächern. „Bis heute versuchen die Gomeros diese Sprache am Leben zu erhalten, denn die neue Handy-Kultur hätte El Silbo fast zum Aussterben gebracht“ erzählt Christobal. Die Pfeifsprache wurde inzwischen als Pflichtfach in den Schulen eingeführt, und die Unesco adelte auch hier „Naturerbe der Menschheit.“
Der Abstieg ins „Valle“ ist mühsam, doch schließlich ist es geschafft. Das Tal ist der beliebteste Treffpunkt deutscher Touristen. Hier gibt es die sichersten Strände, und in Vueltas kann man sogar so was wie Nachtleben genießen. Für mich wird es Zeit für einen letzten Besuch bei Capitano Claudio. 10 Jahre haben wir uns nicht mehr gesehen. Ich bin gespannt, wie es ihm heute geht. Der deutsche Aussteiger ist das Original im „Valle“. In seinem kleinen Laden verkauft er Anglerzubehör, organisiert Schiffsfahrten, Delphin-Touren und unterhält mit allerlei Seemannsgarn. An seinem „Valle-Boten“, der einzigen deutschsprachigen Inselzeitung, kommt niemand vorbei. „Unabhängig, überparteilich, abgedreht“ und mit Erscheinungsweise „nach Bock und Wetterlage“ informiert er über die Insel-News. „Schön, Dich zu sehen“. Der weißhaarige Seebär umarmt mich überschwänglich. Ein Gesicht vergisst er niemals. „Komm rein. Du bleibst doch zum Essen?“ Bei Papas arrugadas mit scharfer Mojo-Sauce und einem eiskalten, hochprozentigen „Gomerón“ lassen wir uns in die Nacht fallen.
Es gäbe noch viel zu erzählen, von dieser kleinen Kanareninsel. Von Agulo mit seinen pastellfarbenen Kolonialbauten. Von Vallehermoso und seinem „Miel de Palm“. Oder vom Fortaleza, dem Tafelberg Gomeras. Pendant des Ayers Rock in Australien und größte Kultstädte der Guanchen. Doch für Gomera braucht man Zeit. Viel Zeit. Und morgen ist ja auch noch ein Tag. „Mañana“ – wie der Spanier sagt.